Teil I: Philosophie des Glücks
Was ist Glück?
Formale Definition: Glück ist das letzte Ziel menschlicher Handlungen, d.h. das, was nicht als Mittel zu etwas anderem, sondern als Zweck an sich selbst angestrebt wird. Glück ist das, worüber hinaus nichts mehr gewünscht werden kann. Glück ist für fast alle Philosophen der einzige Handlungszweck, der einen intrinsischen Wert hat: Wer glücklich ist, hat alles; wer unglücklich ist, dem bringt auch sein ganzes Hab und Gut nichts. Wir würden wohl ein glückliches Leben ohne Erfolg, Vermögen, Gesundheit etc. immer einem gesunden, erfolgreichen, wohlhabenden, aber trotzdem unglücklichen Leben vorziehen!
Die drei großen Glückstheorien
Hedonismus
These: Glück besteht in intensiven, extensiven und protensiven (anhaltenden / in Zukunft immer wiederkehrenden) Momenten sinnlichen Genusses. Glück ist also nichts weiter als eine möglichst große Anzahl möglichst starker, umfassender, lange andauernder und in der Zukunft möglichst häufig wiederkommender Genussmomente.
Maxime: Suche möglichst viele Genussmomente auf!
Probleme:
- Gewöhnung an Genüsse
- Konfligierende Genüsse
- Der Mensch lebt nie nur in der Gegenwart, sondern auch in Antizipation der Zukunft
Zieltheorie
These: Glück besteht in der Realisierung möglichst vieler, eigener und echter Ziele.
Maxime: Setze dir wertvolle Ziele und erreiche sie!
Probleme:
- Irrtum über den Wert eines Ziels
- Konfligierende Ziele
- Der Weg ist viel wichtiger als das Ziel
Theorie der objektiven Güter
These: Glück besteht im Besitz objektiver Güter, d.h. an sich selbst (=intrinsischer) und für jeden Menschen gut seiender (=objektiver) Güter
Maxime: Sammle möglichst viele objektive Güter!
Problem:
- Empirisch zeigt sich, dass es keine objektiven Güter gibt in dem Sinne, dass sie für alle Menschen glücksnotwendig sind
- Viele solcher Güter spielen für das Glück kaum eine Rolle (Geld, Kinder, etc.)
Philosophie des Glücks: Perspektiven auf das Glück
Glück: Negativ oder positiv bestimmbar?
- Negativ: Glück ist Abwesenheit von Leiden, Schmerzen, Sorgen, Problemen etc.
- Positiv: Glück ist etwas Schönes und nicht bloß die Negation von etwas Schlechtem; wir können auch glücklich sein, obwohl wir Schmerzen haben etc.
- Was ist Glück für dich¹? Die Abwesenheit von Leiden oder die Anwesenheit von etwas Positivem? Kannst du trotz Leiden (Krankheit, Schmerzen, Sorgen etc.) glücklich sein? Diese Fragen haben bereits Philosophen wie Schopenhauer und Nietzsche umgetrieben – leider wurden sie sich am Ende mal wieder nicht einig… Entscheide also für dich, ob dein Glück etwas negativ oder positiv bestimmbares ist – oder gar eine Mischung davon!
Glück ist nichts bloß Momenthaftes!
- Menschen überschreiten die Gegenwart kognitiv immer auf die Zukunft hin und vergegenwärtigen ihre Vergangenheit: es gibt nicht nur ein „Hier-und-Jetzt“, sondern auch ein „Noch-nicht“ (antizipierte Zukunft) und ein „Nicht-mehr“ (erinnerte Vergangenheit)
- Glück ist etwas Übergreifendes
- Glück kann auch überdauern, wenn man mal kurzweilig Schmerzen empfindet
¹Wir haben hier ausnahmsweise die „Du“-Form gewählt, da dies aus psychologischer Sicht sehr vorteilhaft ist. Du-Fragen erreichen uns eher, dringen besser zum innersten Kern vor, erwecken mehr Vertrauen und laden uns zu ehrlichen und intimen Antworten ein – und genau darum geht es ja hier: die Entdeckung der eigenen Persönlichkeit, des innersten Kerns, des ganz persönlichen Glücks.
Teil II: Psychologie des Glücks
Wovon hängt das Glück ab?
Statistische Glücksfaktoren
Faktoren mit keinem (geringem) Einfluss auf das Glück
- Geld (Vermögen), sobald die Existenzgrundlage gesichert ist (je nach Studie um die 40.000-60.000 Euro Bruttojahresverdienst; mehr Geld macht ab dieser Grenze nicht glücklicher)
- Kognitive Intelligenz
- Geschlecht, Alter, Nationalität
- Bildung
- Wohnort (Stadt vs. Land)
- Wetter (Sonnentage)
- Glücks- bzw. Unglücksfälle (Lottogewinn bzw. Querschnittslähmung)
- Attraktivität/Schönheit
- Kinder (teilweise widersprüchliche Forschungsergebnisse; bedarf weiterer Studien)
Faktoren mit wenig (mäßigem) Einfluss auf das Glück
- Klimazone
- Spiritualität bzw. Religiosität
- Gesundheit
Faktoren mit großem Einfluss auf das Glück
- Genetische Veranlagungen (nicht veränderbar)
- Persönlichkeitseigenschaften (Extraversion vs. Neurotizismus / in der Regel nicht veränderbar, d.h. ein Leben lang stabil² -> für unsere Zwecke also nicht relevant)
- Emotionale Intelligenz
- Erfüllende Tätigkeit bzw. Arbeit (Flow-Erleben)
- Partnerschaft
- Freundschaft (Qualität statt Quantität!)
- Sinnhaftigkeit
- Negativ: Verlust (Trennung, Scheidung, Tod, Kündigung)
² Für die Experten: Diverse Untersuchungen deuten darauf hin, dass auch die Big Five über die Lebensspanne hinweg veränderlich sind – daher “in der Regel”. Vgl. dazu Staudinger, Ursula M. (2008): Was ist das Alter(n) der Persönlichkeit? Eine Antwort aus verhaltenswissenschaftlicher Sicht. In: Staudinger, Ursula M. / Häfner, H. (Hg.): Was ist Alter(n)? Neue Antworten auf eine scheinbar einfache Frage, Berlin: Springer (Nr. 18), 83-94).
Teil III: Praktische Übungen
Kann man sein Glückslevel nachhaltig erhöhen?
Problem
- Man kann das Glück kurzfristig erhöhen, aber langfristig sinkt es dann wieder auf das ursprüngliche Level. In der Psychologie wird dies „hedonische Adaption“ genannt – wir passen uns ganz schnell an neue Umstände an und erfreuen uns nicht sehr lange an Neuem. Das merken wir z.B., wenn wir jeden Tag unser Lieblingsessen essen – irgendwann schmeckt es einfach nicht mehr.
- Beispiel „hedonische Adaption“: Lottogewinner sind nur wenige Wochen glücklicher; ebenso sind Querschnittsgelähmte nicht lange unglücklicher als vor dem Unfall („Man gewöhnt sich an nichts schneller wie an einen neuen Lebensstandard!“)
- Einzig Trennung, Scheidung und Tod bedürfen etwa 8 Jahre, bis sich das ursprüngliche Glücksniveau wieder einstellt – aber selbst hier stellt es sich (obgleich erst nach Jahren) wieder ein
Lösung
- Der Adaption durch Variation entgehen
- Flexibel sein, Tätigkeiten variieren, immer etwas Neues machen
- Sich das Selbstverständliche bewusst machen ( -> Dankbarkeitstagebuch)
Info
³ Vgl. Lyubomirsky, Sonja / Sheldon, Kennon M. / Schkade, David (2005): Pursuing happiness: The architecture of sustainable change. In: Review of General Psychology 9 (2), 111-131.
Glückstraining 1: Dankbarkeitstagebuch
- Schreibe alles auf, wofür du dankbar bist und gehe in jeden Grund hinein und fühle, warum du dankbar bist bzw. für was genau du dankbar bist!
- Schreibe so lange Dinge auf, bis dir nichts mehr einfällt oder dir die Lust vergeht – aber das ist unwahrscheinlich!
- Mache keine Routine aus diesem Training, damit du die hedonische Adaption austrickst! Mache es, wann immer dir danach ist; mal morgens, mal abends; mal kurz, mal lange; mal wenn du glücklich, mal wenn du unglücklich bist! Nicht: Jeden Montag um 21 Uhr…
Glückstraining 2: Acts of kindness – Give much more than you expect!
- Nimm dir vor, in der nächsten Zeit einige wohlwollende Taten auszuführen – unabhängig davon, was du zurückbekommst!
- Was du auf jeden Fall zurückbekommst – unabhängig davon, ob sich jemand revanchiert – ist: dein eigenes Glück!
- Mache auch aus diesem Training keine Gewohnheit (jeden Montag zwischen 11 und 12 Uhr drei Wohltaten), sondern sei flexibel!
Glückstraining 3: Ziele setzen
- Setze dir 3-5 längerfristige Ziele (3-12 Monate)!
- Tipp: Am besten mit dem ERFOLG²-System, das du vielleicht schon von uns kennst und auf unserer Homepage kostenlos downloaden kannst (mindyourlife.de/ebooks)!
Glückstraining 4: Wege setzen
- Gehe so vor wie beim Training 3, aber gehe diesmal nicht vom Ziel, sondern vom Weg aus! Denn wir haben ja gesehen, dass nicht primär die Erreichung des Ziels, sondern die Zeit auf dem Weg dorthin entscheidend für das persönliche Glück ist. An diesen Gedanken muss man sich erst einmal gewöhnen, denn eigentlich setzen wir Ziele ja normalerweise um sie auch zu erreichen – und nicht, weil der Weg dorthin so schön ist…
Glückstraining 5: Glücksmomente
- Auch aus dem Hedonismus ziehen wir Konsequenzen: Was kannst du tun, um deine Glücksmomente zu maximieren und zugleich zu verhindern, dass du dich an sie gewöhnst? Effektive Mittel sind Variation und flexible Gestaltung.
Glückstraining 6: Fördere deine zentralen Glücksfaktoren!
- Frage dich, wie du in den folgenden Bereichen in den nächsten Wochen und Monaten einen Fortschritt erzielen kannst!
- Was kannst du tun, um deine persönlichen Beziehungen noch erfüllender und intimer zu machen?
- Was kannst du tun, um deinem Leben noch mehr Sinn und eine noch kraftvollere Mission zu verleihen?
- Was kannst du tun, um deine beruflichen Tätigkeiten noch erfüllender zu machen?
- Was kannst du tun, um deine freizeitlichen Tätigkeiten noch erfüllender zu machen?
Glückstraining 7: Bejahung des eigenen Lebens
- Glück ist nicht nur ein Gefühl, sondern hat auch etwas mit einer Bewertung zu tun. Mache dir das ganz bewusst: Bewertest du dein Leben als lebenswert? Wenn ja, warum? Wenn nein, was fehlt dir und was musst du tun, um das Fehlende zu finden?
- Inspiration: Die Möglichkeit des Glücklichseins schließt die Möglichkeit des Unglücklichseins immer mit ein. Du kannst dir aussuchen, ob du ein Computer sein willst – der nicht unglücklich ist und keine Schmerzen empfindet, aber der eben auch keine guten Gefühle empfinden kann, weil er eben gar nichts empfinden kann –, oder ob du ein Mensch sein möchtest, der die schönsten Gefühle der Welt empfinden kann, was aber notwendig auch Leid und Schmerzen mit sich bringt.
Ich wünsche Ihnen alles Glück der Welt und wäre selbst höchst glücklich, wenn dieses kleine E-Book Sie dabei unterstützen kann, sich selbst ein klein bisschen glücklicher zu machen!
Ihr Hendrik Wahler
Mainz, 4.10.2014
Literaturempfehlungen
Wissenschaftliche Überblicksliteratur
Einen exzellenten Überblick über die aktuelle Glücksforschung samt substanziellem Beitrag liefert meine Kollegin Dagmar Fenner, Philosophie-Professorin in Basel/Tübingen. Ihrem herausragenden Werk „Glück“ verdanke ich viel, das will ich hier nicht verschweigen:
Fenner, Dagmar (2003): Glück. Grundriss einer integrativen Lebenswissenschaft, Freiburg: Alber.
Neben diesem akademischen, für Nicht-Experten äußerst anspruchsvoll zu lesendem Buch, kann ich Fenners de-Gruyter-Einführung empfehlen:
Fenner, Dagmar (2007): Das gute Leben, Berlin, New York: Walter de Gruyter.
Einen guten Überblick über die empirische Glücksforschung (mit Schwerpunkt Psychologie) liefert:
Bucher, Anton A. (2011): Psychologie des Glücks. Ein Handbuch, Darmstadt: Wiss. Buchges.
Populärwissenschaftliche Glücksliteratur
Exzellente Besinnung auf das Glück, mit vielen praktischen Übungen, aus der Sicht eines säkularen und wissenschaftsorientierten Buddhismus:
Ricard, Matthieu (2009): Glück, München: Knaur-Taschenbuch-Verl.
Ganz nettes und praxisbezogenes Glücksbuch von einem bekannten Harvard-Psychologen:
Ben-Shahar, Tal (2008): Happier. Can you learn to be happy?, New York: McGraw-Hill.
Das Beste zum Schluss
Ganz ohne Zweifel gehört Paul Watzlawicks „Anleitung zum Unglücklichsein“ zu den größten je geschriebenen Psychologie-Büchern. Für Systemiker eine lehrbuchmäßige Symptomverschreibung, eine paradoxe Intention, ein Double Bind. Für uns normale Leser einfach ein großes Vergnügen, unendlich witzig – und doch beschleicht uns das Gefühl, dass hier jemand durch diesen schreiend komischen Humor eine tiefgründige Wahrheit verkündet, die uns kurz innehalten und stutzig werden lässt.
Watzlawick, Paul (1999): Anleitung zum Unglücklichsein, München/Zürich: Piper.