In der eigenen Persönlichkeitsentwicklung spricht man oft über große Lebensziele, Träume und Visionen. Und über die eigenen Talente und Stärken. Aber mentales Wachstum ist kein Produkt eines einzigen mutigen Tages, an dem ich all meine Ängste oder Probleme angehe und mich meinen Schattenseiten stelle. Persönlichkeitsentwicklung entsteht aus dem, was ich regelmäßig tue. Einmal im Jahr meine Ängste zu konfrontieren ist etwas anderes, als sich jeden Tag einer Sache zu stellen, die mir Angst macht.
Das Leben ist kein 100m-Sprint, sondern ein Marathon. Es geht nicht um kurzfristige Intensität, sondern um langfristige Beständigkeit.
Mentales Wachstum funktioniert wie körperliches Wachstum – und ein Muskel verdoppelt sich nicht durch einen Tag im Fitness-Studio, sondern durch viele Tage, durch regelmäßiges Training.
Deshalb ist einer der wichtigsten Motoren der eigenen Persönlichkeitsentwicklung das, was wir jeden Tag tun: unsere guten und schlechten Gewohnheiten. Diese Gewohnheiten werden oft unterschätzt, weil ihr Effekt für einen Tag recht gering ist. Aber ihr Effekt über 1 Jahr ist wiederum immens – wir jeden Tag nur 10 € spart, hat am Ende des Jahres 3650 €. Wir überschätzen, was wir in einem Tag schaffen können – aber wir unterschätzen, wohin wir in einem Jahr kommen könnten.
Das, was glückliche und erfolgreiche Menschen ausmacht, sind ihre fest verankerten Gewohnheiten.
Das gilt leider nicht nur für gute, sondern auch für schlechte Gewohnheiten. Ausnahmeweise mal ungesund zu essen, hat praktisch keine Auswirkungen. Aber die Gewohnheit, jedes Mittagessen mit einem süßen Nachtisch abzurunden, hat große Effekte – zumindest in einiger Zeit.
Alles, was im Leben wirklich zählt, ist das Resultat von guten Gewohnheiten: Beziehungen, Liebe, Gesundheit, Fitness, Zufriedenheit, Gelassenheit, Erfolg, Wohlstand.
Ich werde das, was ich täglich tue
Der Einfluss unserer Gewohnheiten auf unser Selbst, auf unseren Charakter und unsere Persönlichkeit lässt sich kaum überschätzen. Ich werde das, was ich täglich übe. Das ließe sich auch neurowissenschaftlich belegen: Mein Gehirn wird sich in die Richtung entwickeln, in die ich es hauptsächlich nutze. Wie ein Muskel werden genau die Gefühls- und Gedankenmuster stärker, die ich regelmäßig einsetze; und jene wiederum schwächer, die ich vernachlässige.
Bestandsaufnahme: Wo verstecken sich meine Gewohnheiten?
Genau dieser Prozess, der unser Gehirn mittelfristig umbaut, ist uns aber oft gar nicht bewusst. Denn Gewohnheiten werden irgendwann zur Selbstverständlichkeit – niemand von uns denkt noch viel über das Zähneputzen nach. Gewohnheiten laufen im Autopiloten des Gehirns, sie brauchen kaum Aufmerksamkeit und Bewusstsein. Sie sind wie eine Brille, an die wir uns schon so sehr gewöhnt haben, dass wir gar nicht mehr merken, dass sie auf unserer Nase sitzt.
Deshalb merken wir auch oft nicht, welchen Schaden schlechte Gewohnheiten anrichten.
Training #1: Welche Gewohnheiten haben sich in meinem Leben fest etabliert? Welche Dinge tue ich regelmäßig? Mit welchen typischen Verhaltensweisen reagiere ich auf äußere Reize?
Schlechte Gewohnheiten ändern
Wenn ich mir das Rauchen abgewöhnen will, scheitert das oft nicht an mangelnder Willenskraft, sondern an mangelnden Alternativen. Aktuelle Gewohnheiten erfüllen eine Funktion, sie sind „für etwas gut“. Beim Rauchen mag es eine kurzfristige Belohnung sein, eine Strategie, sich möglichst schnell gute Gefühle zu verschaffen. Es kann aber auch ein Ritual sein, ein Essen abzuschließen.
Bei manchen ist es das Rauchen, bei manchen ein süßer Nachtisch, bei anderen wiederum eine Netflix-Serie. Das Problem wird nur selten damit gelöst, dass wir einfach aufhören, das zu tun, worauf wir unser Gehirn über lange Zeit getrimmt haben. Ich brauche einen Ersatz, der dieselbe Funktion erfüllt.
Also brauche ich als Raucher z.B. eine Alternative, mit der ich mir auch schnell gute Gefühle machen kann. Am besten eine Alternative, die nicht so viel Nachteile hat – denn das Rauchen mit Koks zu ersetzen, würde das Problem nur verschieben. Die neue Strategie muss nicht zwingend so effektiv sein wie die alte, aber zumindest ansatzweise effektiv. Statt einer Zigarette könnte ich das Essen mit einem guten Tee abschließen. Oder mit einem Espresso. Oder einem Spaziergang in der Natur. Welche Strategie funktioniert, hängt natürlich von individuellen Vorlieben ab, denn nicht jedem gibt ein Spaziergang in der Natur genug gute Gefühle.
Training #2: Welche Gewohnheiten würde ich gerne loswerden oder durch bessere Gewohnheiten ersetzen?
Die Grammatik einer Gewohnheit: Reiz-Reaktion
Alte Gewohnheit: Bisher habe ich immer, wenn ich mit dem Essen fertig bin, eine Zigarette geraucht.
Neue Gewohnheit: Ab sofort werde ich immer, wenn ich mit dem Essen fertig bin (und einen gewissen Drang verspüre, nun noch etwas tun zu müssen), einen süßen Tee trinken.
Immer, wenn ich [Auslöser einfügen], werde ich [Reaktion einfügen].
Gute Gewohnheiten etablieren
Wenn ich eine neue Gewohnheit etablieren möchte, die keinen Ersatz für etwas darstellt, sondern quasi ein noch nicht bestehendes Verhaltensmuster in meinem Leben kreieren soll, besteht eine große Gefahr. Wir Menschen sind eben Gewohnheitstiere, und deshalb wird eine neue Gewohnheit immer „ungewohnt“ sein – und das sorgt für Widerstand und Kraftaufwand, sodass die neue Gewohnheit sich schon bald wieder verläuft, wenn man ihr nicht seine volle Aufmerksamkeit widmet.
Viel einfacher ist es, eine neue Gewohnheit an alte Gewohnheiten zu koppeln. Alte Gewohnheiten sind Ereignisabfolgen, die für unser Gehirn nicht mehr mit viel Energieaufwand verbunden sind. Deshalb brauchen wir praktisch keine Motivation zum Zähneputzen – wir machen es einfach. Wenn man sich klarmacht, wie viel Zeit das eigentlich kostet, ist es durchaus verwunderlich, dass wir nicht jeden Tag mit dem Zähneputzen kämpfen. Aber genau das ist ja der große Vorteil einer fest etablierten Gewohnheit: Wir brauchen keine Disziplin mehr dazu, sie laufen von selbst, ohne dass wir uns groß darum kümmern müssen.
Diesen Umstand kann man nutzen, indem man die Ereignisabfolge einer bestehenden Gewohnheit einfach erweitert. Eine bestehende Gewohnheit könnte z.B. lauten:
Immer, wenn ich aus der Dusche komme, trockne ich mich ab.
Wenn ich nun eine tägliche Meditationsgewohnheit in meinem Leben etablieren möchte, könnte ich das an diese Gewohnheit koppeln – dann spare ich mir den Großteil der Arbeit, und muss meinem Körper nur noch beibringen, dass die Gewohnheit nun um einen weiteren Schritt ergänzt wird.
Immer, wenn ich aus der Dusche komme, trockne ich mich ab, und setze mich direkt im Anschluss 10 Minuten auf mein Meditationskissen und meditiere.
Der große Vorteil ist nun: Ich muss mich nicht aktiv an die neue Gewohnheit erinnern und brauche auch keinen Handywecker – ich muss einfach nur eine neue Ereignisabfolge einüben. Bis diese dann zur Selbstverständlichkeit geworden ist, dauert es in etwa 2-3 Monate – 66 Tage gelten als Faustregel. Danach wird das Meditieren nach dem Duschen fast so selbstverständlich sein wie das Abtrocknen nach dem Duschen – und niemand muss sich aktiv noch ans Abtrocknen erinnern und sich dafür motivieren. Im Gegenteil: Wir empfinden sogar eher ungewohnte und unangenehme Gefühle, wenn wir uns nicht abtrocknen – und mit ein bisschen Übung, wird es auch komische Gefühle in uns auslösen, wenn wir das Meditieren weglassen.
Training #3: Welche (neuen) Gewohnheiten würde ich gerne in meinem Leben etablieren?
Das Geheimrezept für langfristig erfolgreiche Gewohnheiten
„Es ist ganz einfach, mit dem Rauchen aufzuhören – ich habe es schon 100-mal geschafft.“ – Mark Twain zugeschrieben
Ein typisches Beispiel für Gewohnheiten, die zwar kurzzeitig funktionieren, aber sich dann schnell wieder verlaufen, sind die sogenannten „Neujahrsvorsätze“. Das sind Ziele und Pläne, die man sich für das neue Jahr am Silvesterabend vornimmt. Oft geht es um Gesundheit oder Fitness: man möchte im neuen Jahr mehr Sport treiben, ist dann zwei Wochen top-motiviert und geht dreimal die Woche ins Studio. In der dritten Januar-Woche kommt dann etwas dazwischen, in der vierten ist man erkältet – und schon war es das wieder. Bis zum nächsten Neujahrsvorsatz.
Nachhaltige Veränderung – man könnte auch „Erfolg“ dazu sagen – bedeutet deshalb nie, einmal eine große Tat zu tun. Erfolg heißt vielmehr: Gewohnheitsbildung, d.h. Etablierung dauerhafter, beständiger und krisenresistenter Gewohnheiten, die man im Idealfall für den Rest seines Lebens aufrechterhält. Genau: Für den Rest des Lebens!
Denn: Mich einen einzigen Tag gesund zu ernähren, schafft jeder. An einem einzigen Tag ins Fitness-Studio zu gehen, ist nicht das Problem. Lebenslang gesund zu essen und regelmäßig Sport zu machen – ist dann doch etwas ganz anderes.
Veränderung ist einfach – Beständigkeit ist schwer
Die drei Säulen der Gewohnheitsbildung
Um eine neue Gewohnheit zu etablieren oder eine alte loszuwerden, braucht man nicht zwingend Disziplin oder Willenskraft. Man kann es sich viel einfacher machen, wenn man die drei Säulen der Gewohnheitsbildung alle gleichermaßen einsetzt. Dann ist das mit den Gewohnheiten zum Glück auch nicht mehr so anstrengend und kräftezehrend.
Die Formel lautet: Gewohnheit = Belohnung * Trigger * Einfachheit
Belohnung
Trigger
Einfachheit
Wie dieses Konzept im Detail funktioniert, habe ich bereits in meinem Post über „Motivation und Willenskraft“ erklärt – und veranschauliche alles Schritt für Schritt am Beispiel der Gewohnheit „mehr Sport machen“.
Tipp: Habit-App nutzen
Um den Überblick über meine guten und schlechten Gewohnheiten zu behalten, kann ich eine Habit-App nutzen. In der einfachsten Form ist diese App nur eine Checkliste, wo ich jeden Tag ankreuzen kann, ob ich meine Gewohnheit ausgeführt habe. Wenn man dann schon 5 Tage infolge erfolgreich war, kann eine Art Zusatzmotivation entstehen, weil man dann die eigene gute Serie nicht abreißen lassen will. Auch wenn das keine große Motivation zu sein scheint: Bei mir macht das einen großen Unterschied, weil ich Vollständigkeit und symmetrische Ästhetik mag – und mich immer freue, wenn ich das in der App sehe. Gleichzeitig bereitet es mir durchaus ein paar negative Gefühle, wenn ich dann mal kein Kreuz setzen darf – das motiviert mich nochmal, wieder disziplinierter zu werden.
Das Ziel: Den „Autopiloten“ unseres Gehirns verändern
Wir wollen, dass das Verhalten zum Automatismus wird, zur Gewohnheit, über die man nicht mehr nachdenken muss. Am Beispiel „Mehr Sport machen“ heißt das: Es soll sich „komisch“ anfühlen, wenn wir diese Gewohnheit nicht umsetzen – so wie Sie sich vielleicht komisch fühlen, wenn Sie abends mal keine Zähneputzen.
Unser Gehirn braucht den Autopiloten, denn es spart mit Routinen und Gewohnheiten viel Energie, d.h. physische Energie, aber auch psychische Energie wie z.B. Entscheidungskraft oder Selbstdisziplin.
Das Gehirn lässt sich aber „umbauen“ – es ist lebenslang veränderbar und „under construction“. Unser Ziel ist daher, die gewünschten neuronalen Netzwerke zu etablieren und zu trainieren wie einen Muskel. Alles, was noch nicht etabliert ist, z.B. eine neue Gewohnheit, ist für das Gehirn ein Mehraufwand, es ist wie das Fahren auf einem holprigen Feldweg. Die Nervenbahnen verändern sich aber durch Wiederholungen: Wenn Sie häufig genug diese Nervenbahnen trainieren, dann wird aus einem einst holprigen Feldweg eine fünfspurige Autobahn – und die wird Ihr Gehirn dann auch im Autopiloten nutzen!
Wie lange dauert es, eine neue Gewohnheit fest zu etablieren?
Wenn Sie den Autopiloten Ihres Gehirn umgeschult haben, ist es auf einmal „naheliegender“ Sport zu machen als ihn ausfallen zu lassen. Natürlich brauchen Sie immer noch etwas Energie, um Sport zu treiben. Aber auch Zähneputzen kostet ein bisschen Energie. Und Sie würden sich doch auch an stressigen Tagen die Zähneputzen, oder? Auch, wenn Sie krank sind? Auch, wenn Sie mal ganz wenig Zeit haben? Auch, wenn Sie überhaupt keine Lust haben? Genau! Weil es ohne geputzte Zähne recht „ungewohnt“ für Ihr Gehirn wäre, putzen Sie selbst in solchen Fällen die Zähne.
Unser Ziel wäre also, das Sportmachen zum Zähneputzen werden lassen!
Wie lange dauert es bis dahin? Das ist schwer zu sagen. Es hängt von vielen Faktoren ab, wie viele Wiederholungen Sie benötigen, um den „default mode“ Ihres Gehirns zu verändern. Eine gute Faustregel sind 66 Tage – danach sollte eine neue Gewohnheit etabliert sein und (wie das Zähneputzen) „von selbst“ laufen.