„Alles Geschehen aus Absichten ist reduzierbar auf die Absicht der Mehrung von Macht.“ (Friedrich Nietzsche)

Auch wenn es wohl nur noch wenige Philosophen und Psychologen gibt, die das obige Postulat unterschreiben würden, scheint das Phänomen Macht eine zentrale Stellung im menschlichen Zusammenleben, aber auch im individuellen menschlichen Leben darzustellen, z.B. für die eigene Persönlichkeitsentwicklung. Macht tritt in vielfältigen Gestalten auf: Romantiker sprechen von der Macht der Liebe, Kommunisten von der Macht des Kapitals, Psychoanalytiker von der Macht des Es, Philosophen von der Macht der Geschichte, Politikwissenschaftler von der Macht des Bundesverfassungsgerichts. In diesem Aufsatz wird das Machtphänomen im Neurolinguistischen Programmieren untersucht, d.h. es geht um Macht und unethischen Machtmissbrauch durch Kommunikation innerhalb dieser psychologischen Methodensammlung namens NLP.

In unserem alltäglichen Leben kennen wir das Phänomen Macht in erster Linie in drei Konstellationen: (i) Macht zwischen Natur und Mensch, (ii) Macht zwischen Mensch und Mensch, (iii) Macht innerhalb eines einzigen Menschen, nämlich zwischen willentlich-steuerbarem Ich und unwillkürlichen psychischen und somatischen Prozessen.

Macht über die Natur mögen wir z.B. bei der Beobachtung der ersten Mondlandung oder aber bei der ersten erfolgreichen Herztransplantation erfahren haben. Machtlosigkeit gegenüber der Natur erleben wir hingegen bei Naturkatastrophen, aber auch, wenn ein geliebter Mensch an einer unheilbaren Krankheit stirbt. Die Kernkraft zeigt uns beides: Macht über die Natur und Machtlosigkeit gegenüber der Natur.

Macht über andere Menschen haben wir vielleicht als Vorgesetzter oder Elternteil, Machtlosigkeit gegenüber anderen Menschen erleiden wir in der Regel am intensivsten, wenn sich unser geliebter Partner von uns trennt, ohne dass wir das möchten und ohne dass wir das Geringste dagegen tun könnten.

Weniger ist uns normalerweise aber bewusst, dass wir eine zentrale Erfahrung von Macht und Machtlosigkeit auch ganz alleine auf einer einsamen, friedlichen Insel erfahren können. Hatten Sie z.B. schon einmal eine Panikattacke? Eine Erschöpfungsdepression? Oder viel banaler: Waren Sie schon einmal krank, obwohl Sie gesund sein wollten? Waren Sie schon einmal müde, obwohl Sie an diesem Tag unbedingt Hochleistung bringen mussten?

All diesen Erfahrungen ist das Erleben von Machtlosigkeit ohne Beteiligung einer weiteren Person gemein: Sie wollen aufstehen, Ihr Körper macht aber nicht mit. Sie wissen, dass es gar keinen Grund gibt, Angst zu haben, dass Sie auch gar keine Angst haben wollen, und doch geschieht die Angst einfach, sie überkommt Sie, Sie sind ihr ausgeliefert. In der Psychologie wird diese Erfahrung in Bezug auf jene psychische oder psychosomatische Symptome beschrieben, denen sich der Erlebende ausgeliefert fühlt. Das willentlich kontrollierbare Ich fühlt sich als Opfer seiner unkontrollierbaren, unwillkürlich ablaufenden Erlebnisprozesse (1). In der Regel fällt dies aber erst auf, wenn diese Prozesse als unerwünscht bewertet werden: Ihre Verdauung können Sie in der Regel überhaupt nicht willentlich beeinflussen – Sie können nicht entscheiden, dass oder wie Sie ein Nahrungsmittel verdauen möchten. Solange Ihre Verdauung aber funktioniert, finden Sie es ja auch gar nicht schlimm, dass Sie sie nicht kontrollieren können. Die Erfahrung der Machtlosigkeit tritt phänomenal erst dann auf, wenn das reale Ergebnis und das gewünschte Ergebnis stark auseinanderklafften. Spielt Ihre Verdauung verrückt, entsteht eine solche Kluft. Wenn diese Verdauungsbeschwerden z.B. psychosomatisch sind, d.h. nicht auf eine Nahrungsmittelintoleranz oder –allergie zurückgeführt werden können, dann haben Sie keine Macht mehr darüber, ob Ihre Verdauung Ihnen das Leben z.B. am Arbeitsplatz schwierig macht. Ähnlich machtlos sind Sie, wenn Sie in einem Vorstellungsgespräch eine Panikattacke überkommt, oder wenn Sie als Hochleistungssportler am Wettkampftag einfach nicht die nötige Leistung aus Ihren Muskeln abrufen können – Sie wissen, dass Sie die geforderte Höhe beim Hochsprung springen können, aber heute machen Ihre Beine einfach nicht mit.

Die Übereinstimmung, die Harmonie zwischen willkürlichen und unwillkürlichen Prozessen ist ein zentrales Thema vieler Psychotherapien. Heute soll es uns aber stattdessen um die Macht zwischen Mensch und Mensch gehen. Zum Zwecke dieses Vortrages wollen wir uns hier auf eine klassische, aber gerade in der postmodernen Philosophie und Soziologie umstrittene Machtdefinition von Max Weber stützen. Webers Definition ist für unsere Zwecke deswegen so nützlich, weil sie Macht in erster Linie als ein zwischenmenschliches Phänomen beschreibt, als eine Relation zweier oder mehrerer Menschen, wobei die Relation selbst die Macht ist. In Webers Grundlagenwerk „Wirtschaft und Gesellschaft“ heißt es:

Macht bedeutet jede Chance, innerhalb einer sozialen Beziehung den eigenen Willen auch gegen Widerstreben durchzusetzen, gleichviel worauf diese Chance beruht.“ (2)

Wer Macht hat, hat also die Möglichkeit bzw. Fähigkeit, seine eigenen Ziele im Rahmen sozialer Beziehungen durchzusetzen, d.h. er hat die Macht, seine eigenen Ziele notfalls auch trotz der entgegenstehenden Ziele anderer Menschen zu erreichen.

Damit beschränken wir uns für diesen Vortrag auf den zweiten Typ der oben genannten Machterfahrungen: Macht und Machtlosigkeit zwischen Mensch und Mensch. Mit dieser Definition blenden wir nicht nur die Macht zwischen Natur und Mensch, sondern auch die Macht zwischen willentlich-steuerbarem Ich und unwillkürlichen psychischen und somatischen Prozessen aus, was natürlich auch ein zentrales Anwendungsgebiet des NLP ist. Das soll uns für diesen Aufsatz aber ebenso wenig interessieren wie die Macht, die unpersönlich ist, die also z.B. von Strukturen, Systemen, Gesellschaften, Geschichte, Kultur usf. auf uns einwirkt. Aus unserer eng gefassten Auffassung von Macht als zwischenmenschlichem Phänomen sind weiterhin auch andere spezifisch zwischenmenschliche Machtformen wie die Unterbindung der Artikulation von Interessen anderer Menschen oder gar die Verhinderung der Bewusstwerdung solcher Interessen anderer Menschen ausgegrenzt. (3)

Auf der Grundlage dieses Machtbegriffs werden wir uns jetzt einige Beispiele von Machtausübung durch Kommunikation im NLP anschauen. Um einige dieser Praktiken als unethische Machtausübung, d.h. als Machtmissbrauch bewerten zu können, bleibt noch ein Entscheidungskriterium für diese Bewertung anzugeben. Auch nach mehr als 2500 Jahren Nachdenken hat es die Philosophie bisher nicht zu einem Konsens über die Frage gebracht, was eine ethisch gute Handlung sei. Es gibt hier drei große Lager: Die einen stützen sich auf Aristoteles (Tugendethik), die anderen auf Kant (Pflichtethik), die dritten auf Mill (Utilitarismus). Ich stütze mich für die Zwecke dieses Aufsatzes auf eine dem Wesen nach konsequenzialistische Position, d.h. eine Position, die die Güte einer Handlung im Wesentlichen an ihren Auswirkungen, an ihren Konsequenzen in der Welt festmacht – und nicht primär an der Intention der Handelnden unabhängig vom Ausgang der Handlung. Dies stellt eine Form des Glücks-Utilitarismus dar, die aber in der philosophischen Forschung nicht unumstritten ist.

Ethisch gut oder einfach ethisch nenne ich alle Handlungen, die das Glück von fühlenden Lebewesen im höchst- und weitestmöglichen Maße befördern oder deren Leid reduzieren. Unethisch sind dann nicht nur Handlungen, die gezielt Leid befördern oder Glück hemmen, sondern auch solche, die das wenige Glück einer oder mehrerer Personen gegen das viele Glück einer oder mehrerer anderer Personen durchsetzen. Dies geschieht z.B., wenn ich mein eigenes Glück befördere auf Kosten des Glücks anderer, sofern diese Kosten summiert höher sind als mein eigenes damit erreichtes Glück (4).

Macht im NLP

Eine systematische Untersuchung der Frage, ob das Wesen des NLP notwendig mit Machtstrukturen verbunden ist, bleibt vor dem Hintergrund der Vielgestaltigkeit des NLP eine Sisyphusarbeit. Es gibt nicht das NLP. Es gab auch niemals das NLP. NLP war von Anfang an eine Methodensammlung, ein Zusammenklauen von guten Ideen, von Konzepten erfolgreicher Therapeuten wie Erickson, Satir oder Perls; und diese Sammlung kennt bis heute weder Theorie noch Methode. Auch wenn das NLP durch seine vermeintlich wissenschaftlichen Begrifflichkeiten so auftritt, als sei es konzeptionell wissenschaftlich verfasst und theoretisch fundiert, gibt es keine einheitliche Theoriegrundlage, sondern lediglich Theoriefetzen, die nicht recht zueinanderpassen, und die auch nicht so recht empirisch prüfbar sind. NLP ist insgesamt kein kohärentes Gebäude. Gelungene theoretische Fundierung und wissenschaftliche Wirksamkeitsnachweise betreffen immer nur einzelne Teile des NLP, die lediglich additiv mit den restlichen verbunden sind. Auch neuere und begrüßenswerte Bemühungen um eine theoretische und wissenschaftliche Fundierung erreichen nicht das nötige wissenschaftliche Niveau. (5) Auch die Weiterentwicklungen des NLP sind vielfältig und laufen in verschiedene Richtungen. Ebenso verhält es sich mit zeitgenössischen NLP-Trainern: Von Psychologie-Laien bis zu hochkarätigen Therapeuten, von Do-as-I-say-not-as-I-do-Coaches bis hin zu menschlichen Vorbildern werden Sie in dieser bunten Landschaft alles finden. (6)

Gerade deswegen möchte ich mich hier darauf beschränken, exemplarisch die Rolle der Macht im NLP aufzuzeigen. Statt einer langen Liste an konkreten Beispielen und Situationen werde ich mich auf die Kategorisierung verschiedener, immer wieder auftretender Situationstypen konzentrieren, was zwar zu Lasten der Konkretheit und Anschaulichkeit, aber zu Gunsten der Übersichtlichkeit geschieht. Denn das ist mein Ziel: Ihnen einen Überblick über die Machtproblematik im NLP zu verschaffen, ohne mich im Detail und zu ausführlichen Anekdoten zu verlieren.

Aufgrund der Vielfalt des NLP wird man zu allen Kritikpunkten auch Gegenbeispiele finden – NLPler, die sich (bewusst oder zufällig) auf der Höhe der wissenschaftlichen Forschung befinden; NLPler, die ein sehr differenziertes und bescheidenes Verständnis von dem haben, was sie tun; NLPler, die uns allen ein ganzheitlich-menschliches Vorbild sein können. Ich möchte aber hier trotzdem die These vertreten, dass meine Kritik die Mehrheit der NLPler trifft – vielleicht nicht die Mehrheit der Besten, aber doch zumindest die Mehrheit aller praktizierenden NLPler. Die folgenden Punkte sind also keine Kritik an vereinzelten schwarzen Schafen, sondern an der breiten Masse des deutsch- und englischsprachigen NLP. Die beiden großen Probleme sehe ich in einer durch engstirnigen Egoismus geprägten unethischen Machtausübung und in einer maßlosen Überschätzung der eigenen Macht und daraus folgenden Praktiken.

Unethische Machtausübung

Die Macht, die uns das NLP zur Verfügung stellt, können wir ethisch oder unethisch einsetzen. Der überwiegende Einsatz des NLP geschieht meiner Erfahrung nach ethisch, auch wenn es dabei oft um formale Konformität geht und das NLP nicht mit der bewussten und expliziten Absicht, ethisch zu handeln, eingesetzt wird. Ich möchte hier auf die unethischen Machtausübungen in der NLP-Szene hinweisen und Sie dafür sensibilisieren, dass solche Praktiken höchst problematisch sind – unabhängig davon, ob Sie sie auf der Coach-Seite aktiv ausüben oder auf der Klienten- bzw. Laien-Seite passiv erleiden müssen.

Egoismus

Ein großes Problem der Machtausübung ist zunächst der weit verbreitete und engstirnige Egoismus im NLP, dessen Mentalität auch diverse Ausbildungen durchzieht. Hier bekommen die Teilnehmer Techniken an die Hand, mit denen sie ihre eigenen Ziele besser durchsetzen können: Seinen eigenen Willen durchsetzen; andere überreden (nicht: überzeugen); Frauen für sich gewinnen, die anfangs gar nicht wollten; sogar andere Menschen gegen ihren Willen in einen tiefen Trancezustand versetzen. Die Wert-Dimension, d.h. die Frage, ob und wie diese Techniken unter ethischem Gesichtspunkt denn eingesetzt werden sollten, bleibt dabei auf der Strecke. Allerhöchstens begegnet einem einmal der stammtischphilosophische Satz: „NLP ist wie ein Hammer: Sie können einem anderen Menschen damit ein Haus bauen, aber auch den Kopf einschlagen“. Das ist durchaus wahr, aber kann nur ein Einleitungssatz sein. Den Haupt- und Schlussteil sparen sich die NLPler in der Regel – für sie scheint die Sache abgeschlossen.

Anders ist es auch nicht zu erklären, dass ich Geschichten hören durfte, in denen stolz erzählt wurde, wie man mit exzellent ausgeführten NLP-Strategien seinen eigenen Willen auf hohe Kosten anderer durchgesetzt hat. Ausgehend von der Tonalität und Körpersprache der Erzählung sollte das wohl eine sogenannte „Erfolgsstory“ sein.

Dazu kommt der von vielen NLP Coaches missverstandene Öko-Check. Der Öko-Check prüft am Ende einer NLP-Intervention die Auswirkungen eines neuen Verhaltens, eines neuen Glaubenssatzes etc. auf die eigene Psyche und die soziale Umwelt: Verträgt sich das mit allen anderen Lebensbereichen? Ist dieses Ziel ökologisch für mein soziales Umfeld? Ich habe oft erlebt, dass die Ökologie solch einer neuen Verhaltensweise lediglich für das eigene psychische System geprüft wurde: Gibt es einen Teil in dir, der vielleicht Einsprüche gegen die neue Verhaltensweise hat und diese deshalb blockieren wird? In diesem Fall würde die Intervention nicht von Erfolg gekrönt sein, weil es interne Widerstände gibt. Welche Konsequenzen eine neue Verhaltensweise – z.B.: „endlich meinen Bedürfnissen freien Lauf lassen“ – für die soziale Umwelt hat, wird nur gelegentlich thematisiert. Und wenn, dann in der Regel nur in Hinblick auf die Konsequenzen, die man selbst dadurch erleiden würde: Wenn ich meine Freundin betrüge und sie mich dann verlässt, inwiefern könnte mir dies dann schaden?

Meiner Ansicht nach ist eine weitere zentrale Funktion des Öko-Checks aber die Prüfung, wie sich die neue Verhaltensweise zu den gelebten Werten des Anwenders verhält: Möchte ich so handeln, dass ich für meine eigenen Vorteile das Leiden anderer in Kauf nehme? Ist es gut, meine Freundin zu betrügen, solange sie davon nichts mitbekommt und ich folglich auch nicht unter den Konsequenzen leide? Für diese scheinbar selbstverständlichen Fragen fehlen im NLP in der Regel Interesse und Gespür. Interessanterweise sind gerade jene Coaches, die ich im NLP bewundere, in dieser Hinsicht große Vorbilder und zeigen sich als gütige und umsichtige Menschenfreunde.

Für manch andere NLPler scheinen aber die eigenen Bedürfnisse einen nicht weiter begründeten Vorrang vor den Bedürfnissen anderer Lebewesen zu haben. Psychologisch ist dies durchaus nachvollziehbar, aber aus einer ethischen Perspektive will sich mir das nicht so recht erschließen: Unparteilichkeit ist ein allgemein akzeptiertes Prinzip jeder modernen Ethik. Der Umstand, dass ich zufällig Hendrik Wahler und nicht jemand anderes bin, sollte keine weitere ethische Relevanz haben. Ich bin eines von vielen schmerzfähigen Lebewesen, auch wenn ich nur die Schmerzen eines dieser Wesen (Hendrik Wahler) am eigenen Leibe unmittelbar spüre. Aber auf dieselbe Weise spüren auch alle anderen Lebewesen ihren je eigenen Schmerz. Sie sind letztlich wie ich; ich finde mich in ihnen wieder. Öffnet man sich dieser allgemeinen Bedingung des Lebens, geht dies in der Regel mit einer Verbundenheit mit der Welt und dem Leben einher: Eine solche Erfahrung ist ein Ziel von spirituellen Praktiken – eine ganz unspektakuläre Einsicht, dass wir gar nicht so alleine sind.

Werden die Bedürfnisse anderer aber primär als Bedrohung gesehen, endet dies nicht selten in Vereinzelung und Einsamkeit. Aus dem „Wir“ wird ein „die anderen gegen mich“. Eine solche Kriegsstimmung schadet einem aber letztlich selbst. Paradox gesagt sollten wir alleine schon aus egoistischen Gründen unseren Egoismus überwinden. (7) Beobachten Sie doch einfach mal, wie es Ihnen geht, wenn Sie sich auf Kosten eines anderen einen Vorteil verschafft haben; und dann, wie es Ihnen geht, wenn Sie jemandem – ohne Erwartung einer Gegenleistung – eine Freude gemacht haben: Ein Lächeln, ein aufmerksames Helfen, ein offenes Ohr, eine liebevolle Berührung.

Pick-Up

Besonders drastisch wird das Phänomen einer egoistischen Praxis in der vom NLP geprägten Pick-Up-Community deutlich – das sind Selbsthilfegruppen, die sich zum Ziel gesetzt haben, möglichst viele Frauen aufzureißen (die Pick-Up-Szene ist meines Wissens fast ausschließlich männlich). Das einzige Kriterium bei der Wahl der Mittel scheint dabei Effektivität zu sein. Die Mittel müssen aber in der Regel durchaus psychologisch sein, d.h. der Einsatz von chemischen Substanzen, um eine Frau gefügig zu machen, wird in der Regel nicht befürwortet. Die Unterscheidung zwischen guten und schlechten psychologischen Mitteln ist aber leider in der Pick-Up-Szene allzu oft identisch mit der Unterscheidung funktional/disfunktional. So lernen die angehenden Pick-Upler, mit hypnotischen Sprachmustern eine Frau in das eigene Bett zu hypnotisieren, ihre Persönlichkeitsstrukturen für eigene Zwecke zu utilisieren, ihre Wünsche herauszufinden und vorzugeben, man würde sie befriedigen können usf. Das Wohl dieser Frau, ihr Wert als selbstbestimmter Mensch und auch die Bedürfnisse ihres sozialen Umfeldes, z.B. ihres Ehemanns oder ihrer Eltern, werden dabei abgeblendet.

Mit großer Erleichterung und Genugtuung lässt sich aber eine typische Bewegung solcher Pick-Up-Lebensläufe beobachten: Die Frage, wie man am besten Frauen rumkriegt, mündet für die allermeisten in die Frage, wie sie denn selbst zu einer Person werden können, die Frauen ganz natürlich anzieht. Pick-Up transformiert sich notwendig in Persönlichkeitsentwicklung. Echte Persönlichkeitsentwicklung aber ist immer ganzheitlich und von ethischem Handeln nicht mehr zu trennen.

Finanzieller Profit

Wie sehr es auch den Begründern des NLP – vornehmlich Richard Bandler – um die Ausübung von Macht statt der Verbreitung von Glück geht, zeigt die aktuelle Ausbildungspraxis seines NLP-Verbandes „Society of NLP“. Wer sich als NLP Coach nach den Richtlinien der Society of NLP ausbilden lassen will, kann das bei einem von Bandler zertifizierten NLP Trainer tun. NLP Trainer wird man, wenn man selbst mindestens die zweite Stufe der Ausbildung durchlaufen hat – also NLP Master Practitioner ist – und anschließend für 3-4 Tage nach Orlando (Florida) fliegt, um sich von Bandler selbst „ausbilden“ zu lassen. Der Kurs selbst kostet etwa 1000 US-Dollar pro Tag. Normierte Prüfungen und Prüfungskriterien scheint es nicht zu geben – ich habe noch nie davon gehört, dass jemand nicht zertifiziert wurde, obwohl er anwesend war. Diese „ausgebildeten“ NLP Trainer sind nun weltweit berechtigt, selbstständig NLP Practitioner, Master und Coaches auszubilden. Nimmt man an einer solchen Ausbildung teil, kann man sich dessen erfolgreiche Absolvierung (ernsthafte Kriterien hierfür gibt es keine) durch Bandler selbst zertifizieren lassen. Man unterschreibt einen Antrag beim hiesigen NLP Trainer, der die Papiere zu Bandler schickt, der sie unterschreibt (ernsthafte Kriterien hierfür gibt es keine) und zurücksenden lässt. Diese Unterschrift kostet etwa 200 Euro. Das ist Bandlers vollständiger Beitrag zur Ausbildung eines NLP-Schülers: eine Unterschrift. Und natürlich hat er das NLP selbst gestellt, d.h. bei erfolgreichen Therapeuten abgeguckt und weiterentwickelt.

Es bedarf keines scharfen Blickes um zu sehen, worum es hier offensichtlich geht: Qualität der Ausbildung tritt weit in den Hintergrund, standardisierte und effiziente Kapitelanhäufung prägen die Ausbildungspraxis. Das ist kein Zeichen von Qualität, höchstens von Profitsinn. Ein Blick auf Bandlers Homepage bestätigt diese Einschätzung.

Im zweiten großen NLP-Verband in Deutschland, dem DVNLP, sieht die Sache zum Glück viel besser aus, was uns aber nicht weiter interessieren soll. Auch in der Psychotherapielandschaft mit Krankenkassenzulassung, die ja eigentlich für ein gewisses Maß an Qualität stehen sollte, werden Sie allerdings merkwürdige Verhältnisse finden. Werfen Sie einfach mal einen Blick auf die Dauer und Kosten einer psychoanalytischen Psychotherapie und die neueren empirischen Ergebnisse aus der Psychotherapieforschung im Hinblick auf Therapieeffektivität – am besten im Vergleich zu kürzeren Therapieformen, deren Kosten die Kassen nicht übernimmt, wie z.B. Hypnotherapie, Systemische Therapie oder Schematherapie. Fairerweise muss man dann zugestehen, dass das NLP nicht ganz alleine damit ist, Finanzen und Machtstrukturen gegenüber Qualität und Klientennutzen zu priorisieren.

Die Ideologie der Machbarkeit: Selbstüberschätzung der eigenen Macht

Ein Phänomen, dem ich in meiner Ausbildung zum NLP Coach immer wieder begegnet bin, ist die Selbstüberschätzung der eigenen Macht. Amüsanterweise trifft dies nicht nur auf die vielen Teilnehmer der Ausbildungen zu, von denen man vielleicht noch sagen könnte, dass ihnen nicht nur die Praxis-, sondern auch die spezifischen Lebenserfahrungen fehlen, um die Reichweite, aber auch die Grenzen ihrer Macht adäquater einschätzen zu können. Die Selbstüberschätzung ist nämlich auch ein verbreitetes Problem unter anerkannten NLP Coaches, insbesondere wenn ihnen ein entsprechendes psychologisches und neurowissenschaftliches Grundlagenwissen fehlt, was leider in den meisten Fällen zutrifft. Merkwürdigerweise scheinen sich sehr wenige NLPler Gedanken über das „Neuro“ im Neurolinguistischen Programmieren zu machen, vom Sinn des Terminus „Programmieren“ ganz zu schweigen. Man spricht dann mal kurz vom Gehirn, aber es scheint nicht weiter zu stören, dass eben gerade diese Hirnforschung große Teile des NLP, wie sie anschließend vorgetragen werden, in den letzten Jahrzehnten korrigiert oder widerlegt hat. Dass der „linguistische“ Teil einer solchen „Programmierung“ durch neuere Forschungsergebnisse zur Einstellungs- und Emotionsänderung aus Psychologie und Neurowissenschaft eine sehr untergeordnete Rolle spielt, scheint wenige NLPler dazu zu inspirieren, die Rolle der Sprache bei der Konstruktion der Welt neu zu überdenken. Dies vervollständigt dann ein äußerst unvorteilhaftes Bild, das das NLP – in diesen Hinsichten auch zu Recht – in akademischen Psychologiekreisen besitzt. (8)

Die durch dieses Unwissen nicht korrigierten Machtphantasien einiger NLPler möchte ich exemplarisch an drei Themen darstellen: dem Hypnoseverständnis, dem Konstruktivismusverständnis und dem sogenannten „Ankern“.

Die missverstandene Hypnose

In meinen NLP-Ausbildungen ist mir immer wieder die Auffassung begegnet, man könne Menschen gegen ihren Willen hypnotisieren und sie in Trance zu Dingen zwingen, die sie gar nicht tun möchten. Solche Auffassungen nähren nicht nur Klischees von der Bühnen-Hypnose, bei der wir uns über einen Hypnotisierten amüsieren können, der gackert wie ein Huhn. Ein solches Hypnoseverständnis ist auch nicht auf der Höhe der Zeit. Nach allem, was wir aus der Systemtheorie über Autopoiesis wissen, nach allem, was wir aus der modernen Hirnforschung über selbstorganisierende Signalverarbeitung des Nervensystems wissen, kann man nicht mehr ernsthaft glauben, ein Mensch können gegen seinen Willen hypnotisiert oder in Trance zu etwas gebracht werden, was er nicht möchte. (9) Zeitgemäße Hypnotherapeuten verstehen die missverständlich so genannten „Suggestionen“ in Trance als „Aufmerksamkeitsfokussierungsangebote“, die der Hypnotisierte in Selbstorganisation umsetzen, d.h. annehmen, modifizieren oder auch ablehnen kann.

Hypnose ist kein Instrument der Machtausübung über andere, sondern ein Integrationsinstrument, mit dem der Hypnotisierte – ggf. unter Anleitung eines Therapeuten – seine Ziele effektiver realisieren und einen (besseren) Zugang zu seinen Ressourcen finden kann.

Der missverstandene Konstruktivismus

Ein weiteres, folgenreiches Missverständnis resultiert im NLP aus dem Umstand, dass NLPler in der Regel keine wissenschaftliche oder psychologische Ausbildung genossen haben und dadurch immer wieder der Versuchung erliegen, wissenschaftliche oder philosophische Theorien aus ihrem Kontext zu reißen, zu schnell zu viel aus ihnen zu schließen, sie von ihrer wissenschaftlichen Grundlage zu trennen und eigenständig zu modifizieren. Auch wird immer wieder mit persönlicher Erfahrung argumentiert: „Bei mir funktioniert das eben!“. Dass die Erste-Person-Perspektive in wissenschaftstheoretischer Hinsicht äußerst viele Verzerrungen und Parteilichkeiten mit sich bringt, ist dabei häufig nicht klar. Auch führen NLP Coaches in der Regel keine Kontrollgruppen-Studien zu ihren Erfahrungen – sie schreiben sich die erfolgreiche Veränderung im Klienten nach einer NLP-Sitzung einfach selbst zu und verwechseln somit Korrelation und Kausalität.

Ähnliche Verständnisschwierigkeiten von wissenschaftlichen Theorien sieht man an der NLP-Auffassung dessen, was als „Radikaler Konstruktivismus“ bekannt ist. Im Grunde besagt diese Theorie, dass wir uns unsere Realität selbst konstruieren: Unsere Lebenswelt ist keine Realität, die uns einfach vorgegeben wird, sondern wir bringen sie selbst aktiv als Konstrukt hervor. Dies wird dann noch mit entsprechenden neurobiologischen Forschungsergebnissen untermauert, die diese These scheinbar stützen.

Der Radikale Konstruktivismus ist eine philosophisch kontrovers diskutierte Theorie, aber sicherlich eine ernst zu nehmende. Der Konstruktivismus tritt in verschiedensten Facetten auf: als philosophische Erkenntnistheorie, als neurowissenschaftliche Theorie der Signalverarbeitung des Nervensystems, als soziologische Theorie sozialer Systeme, als Theorie der Kybernetik, manchmal gar als Ontologie oder Literaturtheorie.

Die Frage, ob der Konstruktivismus eine tragfähige Theorie ist, kann hier nicht geklärt werden. Auch die Befürworter wenden sich aber gegen Missverständnisse, die im NLP immer wieder reproduziert werden. So besagt die These nämlich keinesfalls, dass wir uns alles so machen können, wie es uns gefällt. Ich hatte schon oft Kontakt mit der Überzeugung eines NLPlers, er könnte sich die Welt so machen, wie sie ihm gefällt; könnte Menschen dazu bringen, alles für ihn zu tun; könnte sich dazu bringen, alles gut zu finden, egal was passiert. Er habe über alles Macht, weil eben alles ein Konstrukt sei – sein Konstrukt.

Dieses Missverständnis unterscheidet nicht zwischen einer physikalischen Realität, die zwar durch unser Nervensystem konstruktivistisch gebildet wird, deren Gesetze und Konstruktion aber nicht vollständig unserer willkürlichen Steuerung zugänglich sind. Sie können sich das an einem ganz einfachen Beispiel veranschaulichen: Konstruieren Sie sich die Welt einfach mal so, dass Sie nicht nach unten fallen, wenn Sie aus dem Fenster springen – ohne weitere Hilfsmittel wie einen Fallschirm oder Ähnliches. Bilden Sie entsprechende Konstrukte, Glaubenssätze, leiten Sie Ihr Gehirn an, entsprechende Eindrücke hervorzubringen usf. Und dann: Springen Sie aus dem Fenster im 10. Stock! (Für einige NLPler: Bitte springen Sie nicht aus dem Fenster im 10. Stock!) Wenn Sie alles richtig gemacht haben, wird Ihnen nichts passieren! Die Frage ist nun: Warum hat das noch kein NLPler probiert? Oder anders: Warum konnte noch nie ein NLPler eine Versuchsreihe vorlegen, die den Kriterien der Reproduzierbarkeit und Wiederholbarkeit genügt? Wie so oft im NLP gibt es hier eine Kluft zwischen dem, was NLPler behaupten, und dem, was sie tun.

Der Konstruktivismus darf also nicht so missverstanden werden, dass er besagt, wir hätten über alles Macht. Wir kontrollieren die Naturgesetze nicht und auch nicht die Konstruktion von Naturgesetzen. Die Verarbeitung unseres Gehirns mag zwar nicht die Naturgesetze so abbilden, wie sie wirklich sind (was immer das heißen soll), aber sie konstruiert diese Gesetze – oder dann besser: Regeln – nach dem Kriterium der Überlebensfähigkeit des Organismus in einer komplexen Umwelt. Dieser Vorgang ist in der Regel aber nicht willentlich steuerbar: Es ist in den seltensten Fällen das bewusste Ich, das steuerbare Bewusstsein, das solche Konstruktionen hervorbringt. Normalerweise geschieht dies unbewusst durch reale Erfahrung. Es ist bis jetzt aber meines Wissens noch niemandem gelungen, sich nach Amputation eines Armes einen neuen wachsen zu lassen – das müsste doch aber möglich sein, wenn alles steuerbares Konstrukt ist, wenn man nur fest genug daran glaubt, dass der Arm wieder wächst.

Ein solches Missverständnis ist allein deshalb schon so gefährlich, weil es Kritiker nun dazu verleiten könnte, die Gegenposition zu vertreten: alles ist festgelegt, wir können gar nichts ändern. Das ist aber genauso undifferenziert und falsch. Wir können uns zwar nach einer Amputation zwar keinen neuen Arm zaubern, aber dafür Phantomgliedschmerzen unabsichtlich hervorbringen und auch wieder absichtlich verschwinden lassen. (10) Worüber wir Macht haben und worüber nicht, bleibt eine empirische Frage. Und dazu liegt uns ja auch schon ein enormes Wissen vor: Unsere Körpergröße können wir nur sehr schlecht beeinflussen; unsere Muskelgröße – zumindest die Art Muskeln, die Sie durch Krafttraining trainieren können – hingegen schon. Unsere genetischen Dispositionen für eine Depression können wir schlecht beeinflussen; unsere Erfahrungen, die dann zu einer Depression führen oder diese verhindern, können wir sehr gut beeinflussen. Wir haben keine Macht darüber, ob ein geliebter Mensch stirbt, aber wir haben sicherlich in begrenztem Maße Macht darüber, wie wir uns dazu verhalten, welches Konzept wir vom Tod selbst haben, wie wir unser Leben im Angesicht dieses unhintergehbaren Faktums gestalten wollen.

Seien Sie also kritisch und wachsam, wenn Ihnen jemand weiß machen will, sie hätten alles in der Hand! Bitten Sie ihn doch dann einfach, dass er Sie in einer Minute von seiner These überzeugen soll! Nach allem, was er behauptet, müsste er das ja schaffen. Erwarten Sie, dass er statt einer Falsifizierung seiner Hypothese mit Hilfshypothesen reagiert, um seine eigentliche Hypnose abzusichern! Meine Lieblingsbeispiel: „Ich habe dich überzeugt, du weißt es nur noch nicht; nur dein Unbewusstes weiß dies schon.“ Mit dieser Immunisierung gegen jegliche empirische Falsifikation können Sie im Übrigen jede Theorie absichern.

Das missverstandene Konditionieren: Ankern

Im NLP gibt es ein wichtiges Werkzeug, das fast immer und überall eingesetzt wird: das sogenannte „Ankern“. Dabei geht es um die Verschmelzung von zwei Zuständen. Man bittet den Klienten z.B., sich an sein letztes Erfolgserlebnis zu erinnern und dieses möglichst intensiv nachzuerleben. Dann drückt man dem Klienten auf die Schulter, sodass er gleichzeitig den imaginierten Sinneseindruck der Erfolgssituation und den Sinneseindruck des Schulterdrückens spürt. Gemäß der Vorstellung des Ankerns können nun die Ressourcen, die durch die Imagination der Erfolgssituation aktiviert wurden, durch bloßes Drücken der Schulter wieder reaktiviert werden, weil beim Klienten beide Eindrücke verschmolzen sind und somit auch zusammen wieder aktiviert werden, selbst wenn nur ein einziger auslösender Reiz – das Drücken der Schulter – auftritt.

Vor diesem Hintergrund sind mir dann tatsächlich angehende NLPler begegnet, die der Überzeugung waren, dass sie mich mit einem festen Druck auf mein rechtes Knie gegen meinen Willen in eine tiefe Trance versetzen konnten. Der feste Druck auf meinem rechten Knie war nämlich einige Stunden vorher ausgeführt worden, während ich in tiefer Trance war. Ich hatte gemäß dieser Vorstellung also einen Tieftrance-Anker auf dem rechten Knie. Die Personen hatten dann tatsächlich die Überzeugung, dass sie mich jetzt auffangen müssten, weil ich im Stehen zusammensacken und jede Körperspannung verlieren würde, wie das nach ihrem Verständnis einer Trance – die sie offenbar mit einem Entspannungszustand verwechselten – der Fall sein müsste.

Dass in der Psychologie kein Lernprozess bekannt ist, der so funktioniert, scheint dabei niemanden zu stören. Beim Konzept des Ankerns wird zwar immer wieder auf die klassische Konditionierung (die bekannten Pawlowschen Hunde) verwiesen – ein gut gesicherter menschlicher und tierischer Lernprozess. Dass aber besonders für die klassische Konditionierung eine Reihe wiederholter Reize nötig war, um eine entsprechende Reaktion hervorzubringen, wird dabei übersehen.

In der Regel lassen sich Ressourcenzustände nicht einfach durch einmaliges Ankern speichern. Ausnahmen dazu gibt es natürlich – die genaueren neurologischen und psychologischen Grundlagen dafür, unter welchen Bedingungen dies geschieht, sind aber bisher meines Wissens nicht hinreichend klar erforscht. Bedeutsamkeit des Reizes, Reizspezifität und aktivierte Dopaminrezeptoren scheinen hier wichtig zu sein. Wenn ich z.B. das erste Mal ein intensives Musikalbum höre, dabei im Zug unterwegs bin und aus dem Fenster in die atmosphärische Umgebung schaue, dann kommt es durchaus manchmal vor, dass ich beim zweiten Hören des Albums automatisch wieder diese Bilder vor Augen habe. In der Regel aber bedarf es vieler Wiederholungen in hinreichend kurzer Zeitfolge, insbesondere wenn der zweite Reiz – z.B. das Drücken auf die Schulter – so unspezifisch ist. Wie oft in unserem Leben haben wir diesen Reiz schon erlebt? Wie viele Dinge müssten damit schon längst verankert sein? Die Vorstellung, all dies mit einer einzigen Wiederholung überschreiben zu können, ist doch sehr naiv.

Für eine erfolgreiche Konditionierung bedarf es einer hohen Motivation (neurobiologisch: Aktivierung der Dopaminrezeptoren), hinreichend vieler Wiederholungen mit hinreichend langer Dauer in hinreichend kurzen Wiederholungsabständen (neurobiologisch: neuronale Bahnung) sowie einer möglichst hohen Intensität und Spezifität des Sinneseindrucks. (11)

Warum überhaupt noch NLP?

Nach all dieser Kritik darf man mit Recht die Frage stellen: Warum überhaupt noch NLP? Wie sinnvoll ist es, auf einer scheinbar so kritikwürdigen Methodensammlung rumzuhacken, anstatt sich direkt auf andere Methoden zu fokussieren, die besser funktionieren?

Ich möchte betonen, dass ich hier nicht das NLP als Ganzes kritisieren möchte, schon gar nicht alle NLPler und insbesondere nicht alle NLP Coaches. Viele Interventionen aus dem NLP sind hocheffektiv, wissenschaftlich fundiert und ethisch in Ordnung. Ich nutze NLP daher auch sehr oft – aber eben selektiv. Viele erkennen leider die Grenze nicht zwischen fundierten Interventionen und machtneurotischen Phantasmen. Mir liegt daher daran, diese Grenzen immer wieder aufzuzeigen oder zumindest das Bewusstsein für sie zu schärfen. Der Begriff NLP selbst steht dabei leider nicht per se für Qualität: Es gibt solche und solche. Die für mich negative Seite des NLP wollte ich thematisieren – die für mich positive Seite, die ich ja auch aktiv und mit Begeisterung nutze, kann hier nicht weiter zur Sprache kommen. (12) Gerade weil Teile des NLP so gut funktionieren, lässt sich die damit verbundene Macht, Veränderungen zu bewirken, auch positiv einsetzen. Positiv ausgeübte Macht ist in dieser Hinsicht zu verstehen als die Beförderung von Glück mit Mitteln, die nicht jeder Person zur Verfügung stehen bzw. mit Fähigkeiten, die nicht jede Person hat. Gut ausgebildete NLP Coaches können Menschen in spezifischen Problemen besser helfen, als diese sich selbst helfen können – darin liegt die große Chance des NLP.

Ein Plädoyer für ein gütiges und demütiges NLP

Als Konsequenz aus allem Bisherigen möchte ich hier für ein NLP plädieren, das nicht primär den eigenen Nutzen im Vordergrund sieht, sondern die bestmögliche Verteilung des Nutzens einer NLP-Anwendung auf alle fühlenden Lebewesen. Unter anderem durch meine NLP-Ausbildung habe ich mir ernsthaft die Frage gestellt, was denn eigentlich der wichtigste Wert in meinem Leben ist und wofür ich leben möchte. Ich bin dabei immer wieder zu folgendem Ergebnis gekommen: Ich möchte Glück fühlender Lebewesen befördern und Leid reduzieren. Dabei sollte es – auch wenn dies in der Praxis zunächst schwer ist – nicht so sehr darauf ankommen, ob eines dieser Lebewesen jetzt zufällig ich bin. Mein Glück sollte nicht mehr zählen als das eines anderen. Ich möchte Sie also einladen, sich zu fragen, wofür Sie eigentlich hier auf dieser Welt sind; was Ihr wichtigster und oberster Wert ist. Es wäre das bestmögliche Ergebnis dieses Aufsatzes, wenn Sie das NLP dann diesem Wert getreu einsetzen und damit eine wertorientierte NLP-Praxis führen.

Ich möchte weiterhin für eine Bescheidenheit, aber keine falsche Bescheidenheit plädieren. Fragen Sie sich ganz kritisch, welche Dinge Sie mit NLP wirklich beeinflussen können und welche nicht! Lesen Sie Forschungsartikel, probieren Sie aus, aber lernen Sie auch aus Misserfolgen! Seien Sie sich Ihrer Rolle als Mensch in diesem unfassbar großen Universum in Raum, Zeit, Bedeutung, Geschichte, Sprache, Kultur und Natur bewusst! Verfallen Sie weder Allmachtsphantasien noch Fatalismen: Sie können nicht alles ändern, aber Sie können genug ändern, um Ihr eigenes Glück und das Glück anderer tagtäglich zu kultivieren. Ich biete Ihnen an, diese Möglichkeit als Ihre höchste Pflicht anzunehmen und als Ihr schönstes Vergnügen zu genießen.

„Die Menschen bezahlen die Vermehrung ihrer Macht mit der Entfremdung von dem, worüber sie Macht ausüben.“ (Max Horkheimer)

Fußnoten

  • (1) Vgl. Schmidt (2008): 11.

  • (2) Weber (2005): 38.

  • (3) Zu den verschiedenen Formen von Macht vgl. Zimmerling (2006).

  • (4) Diese Position ist nicht unproblematisch, schon alleine, weil sie auf einer Möglichkeit der Quantifizierung von Glück bzw. der Identifikation von Glückseinheiten beruht. Darüber hinaus lässt sich diese Position mit Gedankenexperimenten an den Rand des Scheiterns bringen. So kann man sich z.B. vorstellen, in einem Krankenhaus schwebten fünf Patienten in Lebensgefahr. Jedem von ihnen versagt gerade ein anderes Organ den Dienst: beim einen die Leber, beim anderen das Herz, beim nächsten die Niere etc. Gemäß der obigen Position wäre es nun ethisch geboten, den gesunden Patienten im Nebenzimmer, der doch noch zur Routineuntersuchung da ist, auszunehmen und seine fünf gesunden Organe auf die fünf Patienten zu verteilen. Statt fünf Personen würde dann nur eine sterben – eine gute Kosten-Nutzen-Rechnung in Bezug auf das summierte Glück. Trotzdem schreien wir bei einer solchen Vorstellung intuitiv auf. Seien Sie aber versichert, dass sich solche Absurditäten bei allen obigen ethischen Grundpositionen finden lassen. Für diesen Aufsatz ist das Kriterium für eine ethisch gute Handlung aber ausreichend und ohne problematische Konsequenzen.

  • (5) Siehe z.B. Schütz (2001).

  • (6) In Bezug auf Kritik an NLP-Praktiken und NLP Coaches habe ich mich im Rahmen dieses Aufsatzes generell entschlossen, keine Namen und Quellen zu nennen. Nachweise würden in der Regel ohnehin in den allermeisten Fällen nur auf mündlichen Gesprächen oder persönlichen Erfahrungen beruhen, sodass sich hier die Problematik der neutralen Beurteilung und deren Überprüfung durch intersubjektiv zugängliche Quellen, z.B. in Form von gedruckten Büchern, ergibt. Leider existiert aber eine große Kluft zwischen dem, was einige schreiben, und dem, was sie in ihren Seminaren andere lehren, und dann wieder zu dem, was sie selbst tatsächlich tun.

  • (7) Vgl. Ricard (2009): Kap. 17.

  • (8) Vgl. Schmidt (2008): 27-32.

  • (9) Vgl. Schmidt (2008), Revenstorf (2009), Roth (1992).

  • (10) Vgl. Meyer et al. (2012).

  • (11) Vgl. Grawe (2004): 53-55.

  • (12) Ein sehr umfangreicher und bemüht fundierter Überblick über das NLP findet sich in Mohl (2010).

Literatur­­verzeichnis

  • Grawe, Klaus (2004): Neuropsychotherapie, Göttingen: Hogrefe.

  • Meyer, Paul / Matthes, Christoph / Kusche, Karl Erwin / Maurer, Konrad (2012): Imaginative resonance training (IRT) achieves elimination of amputees’ phantom pain (PLP) coupled with a spontaneous in-depth proprioception of a restored limb as a marker for permanence and supported by pre-post functional magnetic resonance imaging (fMRI). In: Psychiatry Research: Neuroimaging 202 (2), 175-179.

  • Mohl, Alexa (2010): Der große Zauberlehrling. Das NLP-Arbeitsbuch für Lernende und Anwender, 2. Aufl., 2 Teilbände, Paderborn: Junfermann.

  • Revenstorf, Dirk (Hg.) (2009): Hypnose in Psychotherapie, Psychosomatik und Medizin. Manual für die Praxis. Online-Ausgabe, 2. Aufl., Berlin, Heidelberg: Springer.

  • Ricard, Matthieu (2009): Glück, München: Knaur-Taschenbuch-Verlag.

  • Roth, Gerhard (1992): Das konstruktive Gehirn: Neurobiologische Grundlagen von Wahrnehmung und Erkenntnis. In: Schmidt, Siegfried J. (Hg.): Kognition und Gesellschaft. Der Diskurs des Radikalen Konstruktivismus 2, Frankfurt am Main: Suhrkamp, 277-336.

  • Schmidt, Gunther (2008): Einführung in die hypnosystemische Therapie und Beratung, 2. Aufl., Heidelberg: Carl-Auer-Systeme.

  • Schütz, Peter (2001): Theorie und Praxis der Neuro-Linguistischen Psychotherapie (NLPt). Das wissenschaftliche Fundament für die Europa-Anerkennung von NLPt, Paderborn: Junfermann.

  • Weber, Max (2005): Wirtschaft und Gesellschaft. Grundriß der verstehenden Soziologie, Frankfurt am Main: Zweitausendeins.

  • Zimmerling, Ruth (2006): Macht. In: Heun, Werner (Hg.): Evangelisches Staatslexikon, Neuausg., Stuttgart: Verlag W. Kohlhammer, 1473-1480.