Ich will Texte schreiben. Und ich muss Texte schreiben. Aber ich kann nicht immer Texte schreiben. Wenn ich einfach nichts auf das digitale Papier bringe, dann sage ich oft lapidar „Schreibblockade“ – aber eigentlich weiß ich gar nicht, was das genau ist.
Ich habe das Wort einmal in irgendwelchen Filmen gehört; oft werden dort aber nur die Klischees verarbeitet, die unwissende Leute wie ich mitbringen und in solchen Filmen bestätigt sehen. Was aber ist das eigentlich – eine Schreibblockade? Oder lautet meine Frage eigentlich anders? Geht es gar nicht um eine Blockade? Was verhindert, dass ich einen guten Text auf das Papier bringe? Dieser Frage will ich nachgehen – und vielleicht wird sich dabei nach und nach herausstellen, dass die Frage von Anfang an schon falsch gestellt war.
Wenn nichts mehr hilft: Utilisation
Ich bin nicht nur Texter, sondern auch und vor allem: Coach für Persönlichkeitsentwicklung. Und eines der wichtigsten Prinzipien, das ich im Coaching immer wieder anwende, heißt Utilisation. Wenn im Coaching – oder ganz allgemein im Leben – irgendetwas schief geht, dann kann man dieses Problem nicht immer lösen oder gar schönreden. Aber man kann versuchen, das „Negative“ für einen „guten Zweck“ einzusetzen. Man kann versuchen, dem Schlechten wenigstens ein bisschen was Gutes abzuringen.
Und das ist dann auch das, was ich tue – nicht nur im Coaching, sondern hier und jetzt, beim Schreiben. Es fällt mir sehr schwer, zu schreiben. Ich habe längere Zeit nicht mehr geschrieben. Das „Wiederreinkommen“ ist das Schwerste, die erste Hürde scheint die höchste. Ich komme nicht über sie hinweg. Also mach ich das, was ich im Coaching immer mache: ich utilisiere das Problem, ich nutze es, ich arbeite damit. Wie kann man eine Schreibblockade utilisieren? Indem man über sie schreibt. Ich kann meine geplanten Texte nicht schreiben, aber ich kann durchaus einen anderen Text schreiben – ich kann darüber schreiben, dass ich nicht schreiben kann; ich kann davon berichten, wie es mir geht, was ich denke und fühle; ich kann beschreiben, was mir nicht gelingt, und ich kann Vermutungen anstellen, warum das so ist. Und das ist dann eine wirklich gute Utilisierung: Ich bekomme meine Schreibblockade erstmal nicht weg, aber ich kann sie nutzen und diesen Text hier schreiben. Und wenn mir gar nichts Sinnvolles einfällt, dann kann ich zumindest das Prinzip Utilisation erklären und es direkt an diesem konkreten Beispiel veranschaulichen. Dann habe ich zwar immer noch ein Problem – aber wenigstens war es auch mal für etwas gut.
Schreibblockade: Was fehlt hier eigentlich?
Was genau hält mich vom Schreiben ab? Was blockiert mich? Wir Menschen sind grundsätzlich sehr schlecht darin, einzuschätzen, was uns antreibt, was uns behindert, was wir wollen. Deswegen kann ich nur Vermutungen über die Ursachen und Hintergründe meiner Schreibblockade anstellen – wohlwissend, dass ich wahrscheinlich daneben liege.
Motivation ist keine gute Antwort
Ich hasse Motivation. Ich verdrehe die Augen, wenn jemand von „Motivationsproblemen“ redet. Ich weiß nicht, was das heißen soll. Wir alle sind motiviert. Nur nicht für alle Sachen. Wenn man für etwas keine Motivation hat – weder intrinsisch noch extrinsisch – wäre es ja auch einfach eine gute Idee, es bleiben zu lassen. Du hast keine Lust, für dein Studium zu lernen? Und du brauchst dein Studium nicht für einen Beruf (wie es etwa bei Medizinern oder Juristen der Fall ist)? Dann gibt es auch kein Problem. Hör einfach auf.
Zu sagen, ich hätte keine Motivation zum Schreiben, ist deswegen für mich keine Antwort. Im Gegenteil: Diese Auskunft wirft mehr Fragen auf, als sie beantwortet.
Keine Motivation heißt meistens nur: keine Energie
Besser finde ich schon das Wörtchen „Energie“. Ich habe keine Energie zum Schreiben – das passt besser. Denn es ist nicht die Motivation, die mir fehlt – wenn ich im Vollbesitz meiner geistigen und körperlichen Kräfte wäre, dann würde ich sofort losschreiben. Mir fehlt kein Beweggrund, mir fehlt kein Motiv, mir fehlt lediglich der Antrieb, das Drehmoment, die Energie.
Wenn eine Schreibblockade aber etwas mit Energie zu tun hat, dann geht es nicht nur um tiefenpsychologische Selbsterfahrungen und um Tschacka-Geschreie – dann geht es um eine ganz einfache Rechnung, um meinen eigenen Energiehaushalt. Und das ist dann selbst für mich schon die erste Überraschung: Mein eigener Versuch, meine Schreibblockade zu utilisieren und einfach draufloszuschreiben, was genau mein Problem ist, hat mich nun schon zu einer ersten Erkenntnis geführt, die ich vielleicht geahnt, aber noch nicht so recht beim Namen genannt habe: Offenbar habe ich aktuell keine gute Energiebilanz – auf dem Energiekonto meines Organismus wird mehr Energie abgebucht als Energie eingeht. Und das ich mir dann keine „großen Sachen“ mehr Leisten kann, weil ich schon dick im Minus stehe, ist doch klar.
Die wichtigste Währung: Geld oder Zeit?
Ich glaube, dass Energie eine der wichtigsten Währungen ist, die wir haben. Geld ist natürlich eine wichtige Währung, aber eigentlich ist Geld nur ein Mittel zum Zweck: Man kann sich davon schöne Dinge kaufen, sogar „freie Zeit“, und man kann sich Status und Macht kaufen. Ich spreche oft mit Menschen, die viel Geld haben, viele davon sind bei mir im Coaching. Sie sind keine Millionäre, aber es geht ihnen finanziell sehr gut. Und praktisch alle berichten, dass Sie eigentlich einen großen Mangel haben: Nicht an Geld, aber an Zeit. Wer 150.000 Euro im Jahr verdient, dem fehlt vor allem freie Zeit (und irgendwann möglichweise auch die eigene Gesundheit und Familie).
Also scheint Zeit doch eine sehr viel wichtigere Ressource zu sein, die wesentlich kostbarere Währung. Lebenszeit ist lustigerweise eine der wenigen Güter, die ungefähr gleichverteilt ist: Arme und Reiche, Männer und Frauen, Schwarze und Weiße – sie alle haben in etwa gleich viel Lebenszeit, für alle dauert der Tag jedenfalls 24 Stunden. Lebenszeit ist weiterhin eines der wenigen Güter, die irreversibel verloren sind, wenn sie verbraucht werden. Wenn man Geld an der Börse verliert, dann kann man sich dieses Geld woanders wieder verdienen. Wer beim Pokern heute verliert, gewinnt morgen vielleicht wieder. Geld ist wiederherstellbar, Geld ist niemals endgültig verloren, zumindest nicht prinzipiell. Lebenszeit aber ist grundsätzlich nicht wiederherstellbar. Mein kann seine Lebenszeit vielleicht durch eine gesunde Lebensweise verlängern, aber das 17. Lebensjahr ist ein für allemal vorbei, wenn der Geburtstag kommt.
Gelddiebe werden bestraft, Zeitdiebe toleriert
Total absurd ist vor diesem Hintergrund, dass wir Gelddiebe einsperren, während wir Zeitdiebe laufen lassen. Wenn dir jemand dein Geld klaut, dann ist das natürlich ärgerlich, und wenn du ihn schnappst, kann dem Dieb eine Strafe drohen. Außerdem hegen wir schnell einen großen Groll gegen Gelddiebe. Bei Zeitdieben ist das komischerweise ganz anders: Wir tolerieren es ohne Meckern, wenn uns jemand unsere Zeit stiehlt, weil er uns für eine Aufgabe einspannt, die wir gar nicht übernehmen wollen; weil uns jemand zulabert, mit dem wir gar nicht sprechen wollen; weil uns jemand warten lässt, und wir nichts Sinnvolles zu tun haben. Natürlich kann man jetzt die Zeit achtsam genießen und jeden Augenblick auskosten und so‘n Scheiß; aber Fakt ist: Diese Lebenszeit bekommst du nie wieder.
Gute Zeiten, schlechte Zeiten (Warum nicht jede Zeit gleich wertvoll ist)
Also scheint Zeit die deutlich wichtigere Währung zu sein, wir sollten weniger auf unser Geld und mehr auf unsere Zeit schauen. Aber fertig sind wir mit der Überlegung noch lange nicht, denn Zeit ist nicht an sich wertvoll. Wir erleben Zeit immer gefärbt von unserer Stimmung und Umgebung: Manchmal kann uns eine Stunde quälend lang vorkommen (Langeweile), manchmal geht sie viel zu schnell um (kurzweilig). Außerdem sprechen wir davon, eine „gute Zeit“ bzw. „keine gute Zeit“ gehabt zu haben. Und die schlechte Zeit scheint nicht so erstrebenswert wie die gute Zeit. Wir sind auf der Suche nach einer guten Zeit. Diese Zeit ist wertvoll, diese Zeit ist die ultimative Währung.
Und was macht eine Zeit zu einer „guten“ Zeit?
Das ist eine Frage für einen eigenen Artikel, für ein eigenes Buch. Aber um auf unser Ausgangsthema zurückzukommen: Energie und Freude scheinen zentrale Bestandteile einer guten Zeit zu sein. Wem alles schwerfällt, für wen alles eine Anstrengung ist, für den wird es schwierig sein, eine gute Zeit zu haben. Und vielleicht ist es auch das, was an der Schreibblockade so belastend ist: Man hat keine gute Zeit – und das ist nicht einmal für irgendetwas gut. Natürlich hat nicht jeder auf der Arbeit oder im Fitnessstudio eine gute Zeit – aber man hat wenigstens etwas davon! Für die nervige Arbeit bekommt man Geld, für das nervige Trainieren bekommt man Fitness und Gesundheit. Aber für die Schreibblockade? Bekommt man gar nix. Und hat zudem eine schlechte Zeit. Das ist doppelt blöd. Wenn man aus dieser misslichen Lage wenigstens noch etwas Sinnvolles machen kann – z.B. einen Text über das Problem schreiben, indem man die Schreibblockade einfach utilisiert, dann ist die Welt zwar immer noch nicht wieder in Ordnung – aber schon ein kleines Stück besser. Und wenn dieser Text dann noch einer einzigen weiteren Person in dieser Welt helfen kann, dann hat es sich schon wieder gelohnt.