Verhaltensmuster sind in der Psychologie und Psychotherapie mittlerweile sehr gut erforscht. Hinter hartnäckigen Verhaltensmustern stehen in der Regel „Lebensthemen“ – man könnte auch von „Lebensmotiven“ oder „Lebensfallen“ sprechen. Alle diese Begriffe drücken aus, dass es im Leben der allermeisten Menschen etwas gibt, was ihr Verhalten bis heute bestimmt – ohne, dass es ihnen bewusst ist. Die eigenen Verhaltensmuster sind ein Teil der Frage nach der eigenen Identität („Wer bin ich?“).
Wir gehen der Frage nach, was Verhaltensmuster sind und wie ihre Wirkungsweise und Herkunft in der Psychologie verstanden wird. Außerdem geben wir dir einige Beispiele für typische Verhaltensmuster mit an die Hand und haben ein paar gute Buchempfehlungen vorbereitet, mit denen du deine Verhaltensmuster sehr einfach erkennen und vielleicht sogar durchbrechen kannst.
Was ist ein Verhaltensmuster?
Viele Menschen würden gern öfter unter Leute gehen, aber sie sind nicht so der „Socializer“, kommen nicht sofort mit jedem ins Gespräch und sind eher verschlossen. Manchmal versuchen sie es trotzdem. Und wenn sie dann in einer Bar sitzen, vielleicht mit einem Freund, der einige andere Freunde mitgebracht hast, dann haben sie das Gefühl, absolut nicht in die Situation zu gehören.
Sie beschreiben dann die Situation oft mit einer Metapher: Sie fühlen sich wie unter einer Glasglocke oder in einem unsichtbaren Käfig. Sie sehen die anderen, würden gern neue Freunde finden, aber sie werden das Gefühl nicht los, dass sie eigentlich falsch an diesem Ort sind. Sie fühlen sich isoliert, losgerissen vom Rest der sozialen Welt und können oder wollen einfach kein Gespräch anfangen. Sie sind in der paradoxen Situation, dass sie dich unter mehr neuen Leuten beinahe einsamer fühlen als ohne sie.
In einer Situation wie in diesem Beispiel wirkt ein so genanntes Verhaltensmuster. Ein Verhaltensmuster besteht häufig aus in der Kindheit erlernten Glaubenssätzen, die dich dein ganzes Erwachsenenleben lang begleiten. Sie sorgen dafür, dass du immer und immer wieder in dieselben Situationen kommst – und das Gefühl hast, einfach nichts daran ändern zu können. Deshalb drücken sich in Verhaltensmustern auch Lebensmotive aus: an diesem Punkt warst du schon 100mal, das ist „typisch“ für dein Leben.
Ein Verhaltensmuster besteht aus in der Kindheit erlernten Glaubenssätzen, die dich dein ganzes Erwachsenenleben lang begleiten.
Verhaltensmuster in der Psychologie: Schemata und Lebensthemen
In der Psychologie und Psychotherapie sind Verhaltensmuster mittlerweile sehr gut erforscht. Es gibt verschiedene Theorien und Ansätze darüber, wie Verhaltensmuster wirken und wie man sie am besten ändern bzw. durchbrechen kann.
In ihrem Buch „Reinventing Your Life“, das auch in einer deutschen Fassung unter dem Titel „Sein Leben neu erfinden: Wie Sie Lebensfallen meistern“ veröffentlicht wurde, bieten die Psychologen und Therapeuten Jeffrey E. Young und Janet S. Klosko ein einfach handzuhabendes Konzept, um Verhaltensmuster zu verstehen, zu benennen und sie zu bekämpfen. Sie sprechen dabei jedoch nicht von Verhaltensmustern, sondern von „Lebensfallen“ (engl: life traps). Heute spricht man in der Psychologie von sogenannten „Schemata“. Daraus ist eine eigene Therapieform entstanden – die Schematherapie.
Ganz grob gesagt ist ein Schema ein Verhaltensmuster, das als Schutzmechanismus in der Kindheit erlernt wurde – und zwar aus gutem Grund, denn durch das Schema hat ein Kind irgendwann einmal bekommen, was es gebraucht hat, z.B. Zuwendung oder Sicherheit. Daher wurde dieses Verhaltensmuster besonders stark verinnerlicht und wird ein Leben lang nicht mehr vergessen. Es war zu einem gewissen Zeitpunkt die beste Lösung für ein schwerwiegendes Problem.
Seit der Kindheit hat sich aber nicht nur die Welt verändert, sondern auch der Mensch selbst hat sich weiterentwickelt. Die ursprüngliche Situation, die zur Entwicklung des Schemas führte, stellt für den erwachsenen Menschen eigentlich kein Problem mehr dar. Im Erwachsenenalter haben Menschen andere, oft viel effektivere Strategien, um für sich und ihre Bedürfnisse zu sorgen.
Das führt nun aber leider nicht dazu, dass das erlernte Verhalten wieder verschwindet und das Schema sich auflöst. Die menschliche Psyche zeigt sich davon vielmehr völlig unbeeindruckt – und so bestimmt das als Kind erlernte Verhaltensmuster auch noch das Handeln des Erwachsenen. Damit wird es nun zu einer „Lebensfalle“: Menschen können sich kaum noch gegen das erlernte Verhaltensmuster wehren – es dominiert das Verhalten und das eigene Leben. Oft leiden sie stark unter der Wirkung eines Schemas, da es sie in ihrem Erfolg oder ihrer Persönlichkeitsentwicklung massiv behindert.
Verhaltensmuster, Beispiel 1: Überhöhte Standards („Es ist nie wirklich gut genug!“)
Ein sehr häufig vorkommendes Schema bzw. Verhaltensmuster ist das der „überhöhten Standards“. Du kennst diese Menschen vielleicht unter dem etwas flapsigen und ungenauen Begriff der „Perfektionisten“. Für solche Menschen ist das Leben ein Kampf gegen Fehler und Unzulänglichkeiten. Sie sind sich selbst nie genug: Auch kleinste Fehler verzeihen sie sich nicht, und je nach Typ und Charakter bezieht dieses Verhalten auch ihre Mitmenschen mit ein. Ihre Standards für gute, oder sogar eher für „akzeptable“ Leistungen, sind unvergleichlich höher als die des Durchschnitts. Eigentlich ist nur das Makellose etwas wert – allein das Beste ist gut genug.
Begibt man sich auf die Suche nach den Ursprüngen dieses Verhaltensmusters in der Kindheit der Betroffenen, so findet man häufig, dass die Eltern besonders hohe Ansprüche an die Leistungen des Kindes gestellt haben. Auch kleinste Fehler und Unaufmerksamkeiten führten zu heftigster Kritik und Vorwürfen. In den schwerwiegenderen Fällen machten die Eltern sogar ihre Zuneigung und Liebe davon abhängig, dass das Kind den hohen Ansprüchen gerecht wurde. Als Kompensationsmechanismus entwickeln solche Kinder häufig das Schema der „überhöhten Standards“. Dieses Verhaltensmuster schützte sie vor den Vorwürfen und dem Liebesentzug durch die Eltern. Es gibt daneben auch andere Erklärungen für dieses Schema, aber diese ist am einfachsten nachzuvollziehen und auch recht häufig.
Verhaltensmuster, Beispiel 2: Wertlosigkeit („Ich bin wertlos!“)
Ein weiteres, sehr verbreitetes Schema ist das der Wertlosigkeit. Die fundamentale Überzeugung hinter diesem Schema lautet: „Ich bin wertlos“. Im Gegensatz zu den überhöhten Standards ist dieses Verhaltensmuster oft nur sehr schwer zu erkennen und kann ganz verschiedene Ausprägungen annehmen. Menschen, in denen dieses Schema wirkt, haben eine bewusste oder unbewusste Überzeugung, dass sie wertlos sind und sie im Grunde niemals vollständig angenommen oder bedingungslos geliebt werden können. Sie haben das Gefühl, irgendeinen „Mangel“ oder „Defekt“ zu haben, den jemand sehr schnell herausfinden wird, wenn man sie näher kennenlernt.
Es gibt sehr unterschiedliche Wege, wie Menschen dieses Verhaltensmuster konkret ausleben. Genau deswegen ist das Schema schwer zu erkennen und es gibt nicht die typischen „Signale“, an denen wir dieses Verhaltensmuster festmachen können. Viele Menschen mit diesem Schema haben Schwierigkeiten, Bindungen einzugehen oder langfristig aufrecht zu erhalten.
Grundsätzlich gibt es zwei Richtungen, nach denen Menschen mit diesem Schema sich entwickeln können: Entweder gehen sie in eine defensive Haltung und machen sich selbst schlechte Gefühle mit dem Glaubenssatz, dass sie wertlos sind. Oder aber sie gehen in die Offensive. In diesem Fall entsteht in vielen Fällen das Bild einer Person, die wir gemeinhin als „Narzissten“ bezeichnen. Narzissten beschützen ihren grundsätzlichen Mangel – ihre gefühlte Wertlosigkeit –, indem sie ein übersteigertes Selbstbild eines perfekten und in allen Bereichen erfolgreichen Menschen entwickeln. Narzissten sind derart von sich überzeugt, dass sie die Schuld immer bei anderen suchen und sehr heftig bis aggressiv auf Kritik an ihrer Person reagieren. Ein Narzisst wird Kritik immer als Angriff auf das eigene Selbst werten, weil er mit seinem Verhalten und seinen Leistungen genau dieses fragile Selbst beschützen möchte.
Dieses Verhalten entsteht oft, wenn Kinder für alles verantwortlich gemacht werden, was in ihrer Familie schiefgelaufen ist. Nahestehende Bezugspersonen, insbesondere die Eltern, haben ihnen häufig vermittelt, der Grund für ihre Probleme zu sein, und zwar auch in Fällen, an denen die Kinder eindeutig und ganz offensichtlich keine Schuld haben (z.B. wenn ein Elternteil die Familie verlässt). Die einzige Erklärung dafür, dass man an allem schuld ist, konnte für das Kind nur sein: Ich bin ein schlechter Mensch, ich bin so nicht richtig, ich bin nichts wert.
Verhaltensmuster erkennen und ändern
Das sind natürlich nur zwei Beispiele für eine Reihe von bekannten Schemata. Wenn du deine eigenen Verhaltensmuster kennenlernen oder sogar durchbrechen möchtest, kannst du dir ein Buch besorgen, das dich mit psychologisch fundierten Tests dabei unterstützen kann, deine individuellen Verhaltensmuster herauszufinden. Viele dieser Bücher geben dir dann auch praktische Strategien an die Hand, wie du ein Lebensthema bzw. Schema am besten bearbeiten kannst..
Das eingangs erwähnte Buch „Reinventing Your Life“ von Young und Klosko (deutsche Fassung hier) ist dafür eine sehr gute Wahl: Es ist einfach zu verstehen, bringt für jedes Schema einen Selbsttest mit und beschreibt schließlich für jedes Schema pragmatische Tipps, wie du mit deinem Lebensthema am besten umgehen kannst. Eine kleine Randnotiz: Lass dich bitte nicht von der etwas marktschreierischen Aufmachung des Deckblatts abschrecken – das Buch ist wirklich empfehlenswert!
Alternativ dazu können wir dir auch das Buch „Raus aus den Lebensfallen: Das Schematherapie-Patientenbuch“ von Eckhard Roediger empfehlen, ein deutschsprachiges Original.
Wir wünschen dir jetzt schon viel Spaß und Erfolg bei der Erkundung deiner Verhaltensmuster – lass uns wissen, wie es läuft und ob es dir geholfen hat.